Lymphangiom links lateral am Hals
Wir sind dankbar, dass unsere Gebete erhört wurden. B. ist heute eine gesunde 2jährige. Gerade deshalb möchten wir hier unsere Geschichte erzählen, von unseren Erfahrungen berichten und denen Kraft geben, die auch diesen Weg gehen, vielleicht aber auch einen viel, viel weiteren.
Wir möchten aber auch ein mögliches Vorgehen bei der Diagnose „Lymphangiom“ vorstellen, unsere Entscheidungsprozesse darstellen und die Namen zweier Ärzte nennen, die im folgenden Schlüsselpositionen einnehmen: Prof. Dr. Frank Louwen, Pränatalmediziner, Uniklinik Frankfurt, und Prof. Dr. Klaus Heller, Kinderchirurg, Uniklinik Frankfurt.
Ultraschalldiagnose
In der 33. Schwangerschaftswoche wurde beim Routineultraschall eine „cystische Struktur im linken Halsbereich“ des Kindes festgestellt. Dieser Diagnose durch den Gynäkologen waren bereits einige Ereignisse vorausgegangen. Spezifische Laborparameter waren erhöht und eine Missbildungsdiagnostik mit Chorionzottenbiopsie (13SWS) wurde in der Uniklinik Frankfurt am Main erstellt. Das Ergebnis war ohne Befund, es gab keine genetischen Auffälligkeiten. Um so mehr erstaunte uns diese Diagnose.
Die Frauenärztin überwies uns an einen der profiliertesten Neonatal-Diagnostiker, Prof. Louwen. Seine Diagnose nach dem Ultraschall lautete: Lymphangiom (ca. 3,9 x 2,6 cm). Bereits bei diesem ersten Treffen prognostizierte uns Prof. Louwen exakt bis hin zum Op-Ergebnis wie der Fall verlaufen würde. Das Lymphangiom sei abgekoppelt von den Halsorganen, sitze direkt unter der Haut über den Muskeln, sei echoleer (also wenig gekammert), ohne Blutströmung („no flow“) und würde aller Voraussicht nach gut operativ entfernt werden können. Trotzdem waren wir verunsichert. Ein Lymphangiom gehört zur Kategorie der seltenen Krankheiten, der sogenannten „rare diseases“. Wie konnte sich Prof. Louwen über den Verlauf so sicher sein? War ein chirurgischer Eingriff wirklich angebracht?
Recherche
Der Vater Jörg ist Zahnarzt mit ausgedehnter chirurgischer Tätigkeit, Rebecca, die Mutter, promovierte Wissenschaftlerin (allerdings auf einem völlig anderen Gebiet). Beide wissen wir mit Fachaufsätzen umzugehen und wir kennen die Mechanik ihres Entstehens. Beide machten wir uns auf unsere eigene Art auf die Suche nach Informationen. Jörg scannte sämtliche medizinischen Datenbanken und las die Literatur. Nachdem wir nur von schweren Verläufen lasen, unser eigener Fall aber doch laut Aussage des Pränatalmediziners voraussichtlich gut zu handhaben sei, fragten wir uns, nach welchen Kriterien Fälle veröffentlicht werden. Natürlich werden nur spektakuläre Fälle besprochen, die, die aus der Flut der veröffentlichten Literatur herausstechen. Bei einer seltenen Diagnose würden die banal chirurgisch gelösten Fälle eher nicht in die Veröffentlichung gehen, sondern eben die Fälle, die nicht einfach zu lösen waren oder nur mit kreativen Verfahren einer Verbesserung zugeführt werden konnten. Auch lasen wir von diversen Möglichkeiten der Behandlung des Lymphangioms. In vielen Aufsätzen wird von einem chirurgischen Eingriff abgeraten. Uns wurde er aber empfohlen. Wenn wir unser Baby operieren lassen würden, wer sollte das tun? Wir waren fest entschlossen, den besten Chirurgen für diese Aufgabe zu suchen und waren bereit, dafür auch ins Ausland zu fliegen. Wir durchsuchten wieder das Internet und ein befreundeter Mund-, Kiefer,- Gesichtschirurg ließ unsere Fragestellung durch seine Beziehungsnetze (auf der Ebene der Lehrstuhlinhaber seines Faches) laufen. Immer wieder fielen nur wenige Namen. Einer von Ihnen ist der Kinderchirurg der Uniklinik Frankfurt, Prof. Heller.
Geburt
Wahrscheinlich hätten die meisten Geburtshelfer auf einen Kaiserschnitt bestanden, doch der Pränatalmediziner und Geburtshelfer Prof. Louwen hielt eine Spontangeburt für unproblematisch. Zwar war zum Zeitpunkt der Geburt alles für einen Kaiserschnitt vorbereitet, doch B. war trotz Lymphangiom in der Lage, den Kopf weit genug zu beugen, um den Geburtskanal zu passieren. Auch das Team der Intensivstation stand bereit und war auf einen möglichen „EXIT“ (Einleitung der künstlichen Beatmung unter der Geburt) und auf eine Entlastung der Halsorgane vorbereitet. B. kam nach der Geburt sofort auf die Intensivstation. Es konnten keinerlei sonstige Schädigungen festgestellt werden, und nach einer Woche nahmen wir sie mit nach Hause.
Die Zeit nach der Geburt
B.'s Lymphangiom vergrößerte sich zusehends. Vier Wochen nach der Geburt war das Lymphangiom auf Faustgröße angewachsen. Die seitlichen Knöpfe von Pullovern konnten schon lange nicht mehr geschlossen werden. Leider haben wir kein Bild aus dieser Zeit, auf dem das Lymphangiom gut zu sehen ist. Das folgende Bild ist das einzige, auf dem man das Lymphangiom überhaupt erkennen kann.
Jörg drängte auf eine schnelle OP. Nun sei das Kind noch klein und wenig mobil. Gut für das Kind, das durch eingeschränkte Mobilität den Heilungserfolg verbessert, gut aber auch für die Eltern, da bald hoffentlich der Schrecken ein Ende habe. Wer sollte operieren? Wir führten Gespräche (oder besser „konfliktgeladene Dialoge“) mit Ärzten, die sich für unfehlbar hielten, die Forschungsliteratur allerdings nicht kannten und uns für manisch erklärten, da wir uns im Internet hätten verunsichern lassen. Sätze wie „machen sie sich keine Sorgen, das machen wir täglich“ sind gut gemeint, werden aber der Diagnose Lymphangiom nicht gerecht. Ironischerweise dauerte das entscheidende Gespräch mit Prof. Heller – nach all den kräftezehrenden Auseinandersetzungen mit anderen Kinderärzten – nur 5 Minuten. Prof. Heller kannte die Literatur (aus dem Internet!), kannte die Evidenz einzelner Verfahren und hatte einige Erfahrung, da sich in einem Zentrum der Maximalversorgung wie der Uniklinik Frankfurt die entsprechenden Fälle sammeln. Er wies uns auch auf die hohe Rate von Rezidiven hin und auf sonstige Überraschungen, die jeder kennt, der wie auch immer mit Chirurgie zu tun hat. Im Hinblick auf B. war Prof. Heller positiv für eine komplette Entfernung des Lymphangioms. MRT lehnte er in Betracht der großen Spurbreite der Systeme als zu ungenau ab. In der Chirurgie gilt häufig: Erst mal sehen, dann sehen wir weiter. Für Rebecca und Jörg wird die morgendliche Begrüßung am OP-Tag unvergesslich bleiben: „Na, da ist ja die Frau B., dann machen wir mal den Knubbel weg.“ Er wandte sich direkt der Kleinen zu, sprach sie lächelnd mit „Frau B.“ an und vergaß dabei uns zu grüßen – auf eine höchst liebenswürdige Art. Er redete mit uns nur das nötigste, B. war die Patientin und definitiv im Mittelpunkt seines Interesses. Uns war es nicht wichtig, ob der Chirurg nett ist oder nicht, wir wollten ein optimales Operationsergebnis. Wir fanden beides: einen netten Experten auf Weltniveau.
Der chirurgische Eingriff
Prof. Heller gelang die komplette Entfernung des flüssigkeitsgefüllten Lymphangioms ohne jede Beschädigung der folienartigen Membran. Die Verlegung der N. accessorius, eines motorischen Nerven der Schulterpartie, war reine Routine. Die Naht konnte zwar nicht wie erhofft in der Halsfalte plaziert werden, war aber trotzdem perfekt. Lediglich der Zugang des Drainageschlauches stellt sich heute noch als eben sichtbare Narbe dar.
Uns ist bewusst, dass wir sehr großes Glück hatten. Bei B. fanden sich keine genetischen Abweichungen, andere Organe waren nicht beteiligt, pränatale Diagnostik, intensivmedizinische Betreuung und chirurgische Intervention waren optimal. B. weist bislang keinerlei Entwicklungsverzögerungen auf.
Zwei Jahre später
Geben wir heute das Suchwort „Lymphangiom“ in eine Suchmaschine ein, finden sich weitaus mehr Beiträge als noch vor 2 Jahren. In medizinischen Datenbanken ist die Veröffentlichungsrate der letzten 2 Jahre größer als in den 20 Jahren zuvor. Die Qualität der Studien nimmt deutlich zu. Die wenig aussagekräftigen Fallbeschreibungen werden durch gut entworfene Multicenterstudien ergänzt. Der Forschungsschwerpunkt scheint sich vom rein therapeutischen Handling deutlich in Richtung Grundlagenforschung und außerordentlich zielgenauer pharmakologischer Therapie zu verschieben. Weiterhin wird zunehmend differenziert wo und in welcher feingeweblicher Struktur Lymphangiome auftreten, d.h. Lymphangiom ist nicht gleich Lymphangiom. Hierdurch werden chirurgische Eingriffe und Therapien zielgenauer. In Hinblick auf die Rezidivneigung (das Wiederauftreten) von Lymphangiomen und die immer währende Frage „Wird es wiederkommen?“ arbeitet die medizinische Forschung für uns. Viele Verfahren und Forschungsergebnisse, die heute noch im Labor getestet werden, werden die Therapie komplizierter Krankheitsbilder wie des Lymphangioms grundlegend verändern. Zudem scheinen Lymphangiome häufiger aufzutreten als bislang angenommen.
Privatversichert – Kassenversichert
Uns ist sehr bewusst, dass B. priviligiert war, zum einen als Privatpatientin, zum anderen mit medizinischem familiären Hintergrund. Leider ist es eine Realität: Die Zwei-Klassenmedizin existiert. Dennoch sind Ärzte und ihre Leistungen nicht so teuer, wie man gemeinhin annimmt: Der chirurgische Eingriff bei B. kostete 424,40 Euro! Daher möchten wir – gerade als Insider – die Menschen ermutigen mit ihren Ärzten offen über die Kosten der Versorgung zu sprechen und eine private Rechnungsstellung ins Auge zu fassen, wenn der richtige Arzt gefunden wurde. Der höchste Rechnungsbetrag, den wir vorliegen hatten, bezog sich auf das Intensivbett und den Pflegesatz. Beides wird aber ohnehin von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen. Die besten Ärzte an den Unikliniken werden im Vergleich zu ihrem Einsatz bescheiden bezahlt. Die 424,40 Euro – für ein mehrköpfiges Spezialistenteam – waren weder kostendeckend noch geben sie den Wert des Eingriffs wieder. 424,40 Euro sind ein politischer Preis, der uns auf lange Sicht um den Nachwuchs bringt, der unseren Enkeln „die Knubbel wegmachen“ soll.
Zu guter Letzt
Für B. ist die Welt wieder in Ordnung. Sie ist gesund und bleibt es hoffentlich auch. Die hohe Rezidivneigung von Lymphangiomen ist bekannt, doch wir wollen positiv in die Zukunft blicken. Lymphangiome haben viele Gesichter. Um so wichtiger ist es für uns als Eltern und Betroffene, nicht wieder in der Versenkung zu verschwinden, sondern in Dialog zu treten und andere an unseren Geschichten und Erfahrungen teilhaben zu lassen.