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Amy's Geschichte

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen  mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
(Dietrich Bonhoeffer)

Mein Mann Josef und ich waren sehr glücklich, als wir während unseres Urlaubs merkten, das noch jemand mitfährt. Es war meine erste Schwangerschaft. Alle Übelkeit und das morgendliche Erbrechen nahm ich gern in Kauf. Leider gehört das halt manchmal dazu. Viel schlimmer waren für mich durch die Schwangerschaft bedingte berufliche Probleme. Ich kam für 5 Wochen ins Krankenhaus und nahm seit der 25. SSW aufgrund vorzeitiger Wehen ein wehenhemmendes Mittel. Zudem lag Amy auf meinem Harnleiter, so daß ein Doppel J (Ureterkatheter) gesetzt werden mußte. Aber alles egal dachte ich mir immer, Hauptsache das Baby ist gesund. Was es wird wollten wir nicht wissen. Überraschung. Dann entdeckte meine Frauenärztin Frau Dr. Burgener den 6 X 4 cm großen Halstumor in der 36. Schwangerschaftswoche auf dem Ultraschall. Josef und ich fuhren noch am selben Tag ins Zentrum für Pränataldiagnostik nach Düsseldorf. Dort konnte man auch nicht genau sagen, was unser Baby eigentlich hat. Der Arzt meinte das evtl. ein sofortiger Kaiserschnitt das Beste sei, um das Baby direkt zu behandeln. Eine natürliche Geburt kam nicht mehr in Frage, um Komplikationen zu vermeiden. Wir wurden zum Klinikum nach Krefeld geschickt. Prof. Baltzer (Frauenklinik) und auch Dr. Becker (Kinderchirurgie) waren der Meinung zu warten. Dem Baby ging es trotz des Tumors gut. Jeder Tag im Mutterleib sei wichtig, damit es noch etwas kräftiger würde um eine OP besser zu überstehen. Was Amy hatte konnte uns auch hier keiner sagen. Ich sollte mich weiterhin schonen. Am 16. Juni 2000 um 9.10 Uhr wurde unser Schatz mit 3.200 g und 53 cm geboren. Ein Mädchen. Ich habe sie wegen der Vollnarkose nur ganz kurz nach der Geburt gesehen. Wunderschön knautschig. Noch ganz verschrumpelt mit kleinen weißen Punkten auf der Nase. Und woher hatte sie nur diese vielen schwarzen Haare? Josef durfte Sie noch ein paar Minuten im Arm halten, bevor sie in die Kinderklinik kam. Am nächsten Morgen fuhr ich im Rollstuhl dorthin. Ich wollte mein Kind nicht als letzte sehen. Man hatte ihr schon eine Magensonde verpaßt und einen Zugang im Arm gelegt. Sie kam mir so zerbrechlich vor. Arme kleine Maus.

Die nächsten Tage bis zur ersten OP am 28. Juni waren die schlimmsten. Keiner konnte uns etwas sagen. Ist der Tumor bösartig oder gutartig? Wurden durch die OP evtl. Nerven verletzt? Stillen sollte ich nicht, da man Angst hatte der Tumor könnte sich durch die Saugbewegung verändern. Also pumpte ich fleißig die Milch ab. Was mir sehr half. Ich hatte das Gefühl etwas für Amy zu tun.

Prof. Dr. med. R. J. Kau der HNO Klinik operierte Amy. Der Tumor, oder besser die Tumore, waren gutartig. Er hatte einen fast faustgroßen und etliche 20, 30 kleine entfernt. Prof. Kau sagte uns auch direkt, das er nicht alle erwischt hat. Es waren noch welche da, aber sie saßen wohl teilweise zu dicht an den Nerven. Amy überstand diese OP sehr gut. Nerven waren keine verletzt, sie konnte Ihren Arm bewegen, das Auge noch schließen, und auch die Mundwinkel schienen in Ordnung. Nur ihr Hals lag durch die fehlende Masse des Tumors in Falten wie bei einem Mops. Jedoch kamen nach einer Woche neue Tumore . Sie schienen regelrecht von der rechten Gesichtshälfte auf die linke zu wandern. Prof. Kau sagte nur:" Da geh ich nicht mehr dran." Bis heute sind wir ihm für diese ehrliche Äußerung sehr dankbar. Es gibt nicht viele Ärzte, die so etwas zugeben. Er hat unserer Tochter hervorragend geholfen, indem er die erste OP so durchführte, das er keinen Nerv verletzte. Was nun? Dr. Thomas kannte einen Arzt in Berlin, der schwierige Fälle mit dem Laser behandelt. Durch den Laser war die Verletzung der Nerven nicht so gegeben. Vielleicht konnte man ja dort etwas tun.

Am 10. Juli flogen wir mit einer Krankenschwester, da Amy noch die Magensonde und einen zentralen Venenkatheter liegen hatte, nach Berlin, in das Universitätsklinikum Benjamin Franklin. Prof. Waldschmidt sah sie sich zwischen zwei OPs kurz an und bestellte uns noch mal für abends 21.00 Uhr in sein Sprechzimmer. Er untersuchte Amy genau, und zeigte uns sofort, das ihr Mundboden auch voller Zysten war. Wir waren geschockt. Er erklärte uns dann, wie er die Behandlung mit dem Laser durchführte. Es wird eine dünne Nadel in die Haut eingeführt, die die Zysten mit einem gebündelten Lichtstrahl verklebt. Erst wird die Flüssigkeit abgezogen, und dann die Innenauskleidung der Zyste zerstört. Diese fällt zusammen und verklebt.

11. Juli. 8.00 Uhr OP . Als Amy an diesem Morgen wach wird lächelt sie mich das erste mal durch die Gitterstäbe ihres Bettchens an. Ich lag direkt neben ihr in meinem Bett. Diese Bild hat sich in meinen Gedanken richtig eingebrannt. Als wollte Sie mir sagen, Mama mach dir keine Sorgen, wird schon werden. Es wurden Zysten im Rachen und Gaumen per Laserablation (Abtragung) entfernt. Die Zysten im Bereich der Wange, Mundboden und des Halses wurden Interstitiell (direkt in dem Gewebe) gelasert. Amy bekam wegen der entstehenden Schwellung eine dicke Bandage um den Kopf. Sie sah schlimm aus, bekam kaum Luft und wimmerte viel. Am nächsten Tag kam abends endlich die Bandage vom Kopf . Man konnte zusehen, wie die Augen anfingen sich zu öffnen, als der Druck sich verteilte und sie bekam sofort besser Luft.

17.7. Ultraschall. Neue Lymphangiome rechte Wange u. Halsbereich

18.7. Kommt etwas neues an der linken Schläfe? Wir machen uns Sorgen.

20.7. Nächste OP. Olivgroßer Tumor im Gaumen und ein 5 DM großer an der linken Schläfe, kein Kompressionsverband. Aber Amy ging es nach der OP sehr schlecht. Sie hatte anscheinend starke Schmerzen. Die Haut hinter ihrem rechten Ohr war so geschwollen, das sie riß und Gewebewasser austrat.

25.7. Wir können nach Haus. Amy hat zwar noch die Magensonde, aber damit können wir ja jetzt umgehen. Rückblickend ist mir eine Nacht hier im Benjamin Franklin ins Gedächtnis geschrieben, genau wie Amys erstes lächeln. Amy schrie und ich wußte nicht was ich tun sollte. Stand neben ihrem Bett und dachte " Getrunken hat sie und eine neue Windel, was kann nur sein?" Eine Schwester kam herein und nahm sie einfach auf ihren Arm. Sie war sofort still. Ich kam mir vor wie eine Rabenmutter. Oft hatte ich Angst, das Amy nur wegen uns aus dem Bettchen genommen wurde, gerade nach einer OP, wenn sie so viele Schläuche an sich hatte. Ich wollte sie nicht zusätzlich belasten, dachte immer es ist ihr bestimmt lieber nur ruhig zu liegen. Hatte Angst ihr weh zutun. Es reichte mir sie anzusehen oder ihre Hand zu streicheln. Ich liebte sie doch auch so. Wahrscheinlich war ich in der ersten Zeit zu vorsichtig und ängstlich. Jetzt war der Bann gebrochen.

Endlich Zuhause. Nach ein paar Tagen erbricht Amy fast immer ihre Milch. Der Magen scheint durch die Sonde schon sehr angegriffen zu sein. Am 7. 8. lassen wir sie rausnehmen, und am 17. August schafft Amy es das erste Mal an der Brust zu trinken. Sie ist so glücklich. Ich stille fast ein Jahr, und für Amy wird es in der kommenden Zeit zum besten Beruhigungsmittel.

Weitere OP im September 2000.

Es folgen OPs im

  • Februar 2001, Rückbildung Tumor im Gaumen und Rachen
  • April 2001
  • August 2001

Es folgen OPs im

  • April 2002, seit Februar 2002 eine Ausbreitung auf den Unterkiefer in die Zunge und den Mundboden. Die Zunge blutet fast jeden Tag und ist angeschwollen. Das Durchführen einer Mundhygiene ist fast nicht mehr möglich, da ständig Blut im Mund ist , und ich durch die Dicke der Zunge nicht richtig an die Zähne komme.
  • August 2002, Amys Rachen ist frei, und man kann zum ersten mal die Stimmbänder sehen.

Es folgen OPs im

  • Februar 2003, die Zähne sind so stark angegriffen, das 6 schon bis auf den Kieferknochen vereiterte gezogen werden. Die Zunge, die zudem am Mundboden und der Wange angewachsen war wird gelöst .
  • Mai 2003. Im Mai bekam sie noch einen Zahn gezogen, die restlichen wurden "saniert". Bin gespannt wie lange das jetzt gutgeht. Nach den letzten OPs sah sie immer schlimm aus. Zudem dauerte es diesmal fast 7 Wochen bis die Schwellung der Zunge zurückging. Prof. Waldschmidt erklärte uns, das das Gewebewasser in der Zunge nur nach hinten abfließen kann. Das Abfließen wird bei Amy durch Vernarbungen alter OPs erschwert. Im Moment kann sie die Zunge fast im Mund "verstecken", wenn sie will. Es strengt sie nur sehr an. Aber vielleicht kommen wir ja doch an einer Zungenreduktion vorbei. Die Zeit wird es zeigen. Man braucht bei dieser Krankheit halt viel Geduld.

Die vorstehende Zunge bestreiche ich nachts mit Bepanthen Salbe, damit sie nicht so stark austrocknet. Den Mundraum pflegen wir mit Pyoktanin und Bepanthen Lösung. Zähne putzen ist schlecht. Oben geht es, aber unten tut es ihr weh. Wenn möglich, reibe ich die Zähne mit einem Tuch ab. Für jeden Tipp oder Hinweis, wie man die Mundhygiene verbessern kann, bin ich sehr dankbar.

Die schlimmste oder besser unglaublichste Bemerkung, die ich mir je anhören mußte kam von einer älteren Frau während der Geburtstagsfeier von Amys Uroma. Sie fragt mich, wann ich den von Amys Krankheit erfahren hätte. Ich entgegnete im 9. Monat. Daraufhin meinte sie nur "Ja, wenn Sie das früher gewußt hätten, hätten Sie doch bestimmt abgetrieben. So etwas ist ja doch eine Belastung." Ich war sprachlos. Im wahrsten Sinne des Wortes. Erst Zuhause begriff ich was diese Frau gesagt hatte. Und das auch noch im Beisein von Amy. Sie sah doch, was für ein fröhliches Kind sie war, und wieviel Freude ich an ihr habe. Es war mir einfach unverständlich. Ich war wütend auf mich selber, das ich nicht sofort mit einer passenden Antwort reagiert hatte. Froh war ich nur, das Amy noch zu klein war um ihre Äußerung zu verstehen. Schlimm wird es erst, wenn sie versteht, was manche Leute sagen, und die Blicke bemerkt. Ich hoffe sehr, das wir ihr bis dahin so viel Liebe und Selbstvertrauen geben können, das sie mit solchen Problemen zurecht kommt. Wir lieben sie so wie sie ist und sind furchtbar stolz auf unser kleines Mädchen.

Mein Mann und ich müssen uns sowieso immer wieder wundern, wie gut Amy das alles schafft. Sie ist ein sehr fröhliches liebes Kind. Probleme hat sie meist in den ersten Wochen nach einer OP. Manchmal steht sie nur da, weint und schreit aus Leibeskräften. Ohne Grund. Ohne das etwas vorgefallen ist. Ich weiß nie so recht was ich machen soll. Man kommt dann gar nicht an sie heran. Wenn es vorbei ist kommt sie meistens drückt mich ganz fest und kuschelt. Nachts schläft sie sehr unruhig und schreit und weint ebenfalls sehr viel. Wenn sie uns dann endlich wahrnimmt, sagt sie nur "Mama Hand". Dann ist alles gut, und sie schläft mit meiner Hand weiter.

Seit sie spricht kommen die psychischen Probleme besser zu Tage. Sie erzählte z. Bsp. nach der OP im Februar diesen Jahres ihrer Puppe Helen: " Papa und Mama Amy abgeben. Amy Helen nicht abgeben." Als wir nachhakten kam heraus, das sie im OP anscheinend noch völlig wach ist und alles mitbekommt. Sie konnte uns von Männern in Masken erzählen, und von einer Maske in ihrem Gesicht (wird den Kindern aufgesetzt für die Narkose). Immer wieder kam auch die Frage "Amy wieder Krankenhaus. Mama, Papa Amy wieder abgeben?" Prof. Waldschmidt meinte, das das Dormicum , ein Mittel zur Beruhigung vor der OP, vielleicht nicht mehr richtig wirkt. Im Mai jedenfalls haben wir es geschafft, das Amy ihre Narkose in unserem Beisein im Aufwachraum bekam und dann in den OP geschoben wurde. Sie ließ sich ohne weiteres den Zugang auf meinem Schoß legen. Hauptsache: "Mama und Papa Amy nicht abgeben." Es wirkte. Die Problemen zu Haus waren lange nicht so stark wie sonst.

Nun ist August 2003 und Amy kommt in den Kindergarten. Wenn keine Probleme auftreten (anschwellen der Zunge, starkes Bluten oder Zahnschmerzen) dann haben wir noch etwas Zeit bis zur nächsten OP.

An dieser Stelle möchten mein Mann und ich uns noch mal herzlich für alles bei Prof. Waldschmidt bedanken. Vor allem für seine Liebe und Zuneigung welche er den Kindern und Eltern entgegenbringt, und für die Ruhe und Zuversicht die er ausstrahlt.